Der Titel klingt zunächst etwas merkwürdig. Was hat die Neuregelung des AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz), welche am 1.4.2017 in Kraft tritt mit SCRUM als eine Implementierungsmethodik zu tun?
Ich meine viel und möchte auf die neuen Herausforderungen, die sich daraus für die Planung von SCRUM Projekten in vielen Unternehmen ergeben in diesem Artikel eingehen.
SCRUM seht hier als Synonym für alle agilen Projekt- und Softwareentwicklungs- Methodiken. SCRUM basiert – sehr kurz und etwas provokant formuliert – auf der Idee, dass Sie sich eine lange Spezifikationsphase sparen können und sofort und in einem iterativen Prozess mit der Entwicklung von Software starten.
Während eine gute Spezifikation Effizienz ermöglicht, bedeutet der Verzicht darauf zu Gunsten eines schnellen Entwicklungsstarts Effektivität. Die Langversion dieser extrem verkürzten Darstellung können Sie hier nachlesen:
SCRUM ist nicht nur fancy und vielleicht auch etwas riskant, SCRUM ist heute zunehmend alternativlos, was die Brisanz dieses Themas wesentlich erhöht.
Die gewaltige Zunahme der Komplexität von Software in 21. Jahrhundert mit der zeitgleichen Abnahme an Zeit, die Ihnen der Markt gewährt, um Ihr Produkt einzuführen, wurden Wasserfall-Methodiken zum Auslaufmodell.
Und – abgesehen davon, dass wir alle das auch genauso wollen, sonst würden wir da ja nicht aktiv mitspielen – das ist auch gar nicht schlimm. SCRUM Projekte sind in der Regel tatsächlich schneller und günstiger.
Aber – und sonst wäre es ja viel zu einfach – sie haben den Nachteil, dass sie deutlich schwieriger planbar sind. Und genau dieser kleine Schönheitsfehler kollidiert mit den neuen Richtlinien, die das AÜG nun einführt.
Im Zentrum der Änderungen des AÜG stehen zwei Punkte:
Arbeitnehmerüberlassung geht nur noch 18 Monate. Wenn Ihr Unternehmen nicht an einen Tarifvertrag gebunden ist, oder zumindest einen Betriebsrat hat, brauchen Sie sich über die Verlängerung dieser Frist via Ausnahmegenehmigung gar nicht erst beschäftigen.
Die Fallschirmlösung „Vorrats AÜ-Erlaubnis“, für den Fall, dass Ihre geschlossenen Werkverträge als Scheinwerkverträge auffliegen und Sie dann Ihre vorsorglich eingeholte AÜ-Erlaubnis zücken, funktioniert nun auch nicht mehr. Das kann jetzt extrem teuer werden, sowohl für den Ver- als auch für den Entleiher.
Das Thema „AÜG und SCRUM“ wird nun auch zunehmend in Medien und Verbänden diskutiert, wobei hier oft noch nicht viel mehr Lösungsmöglichkeiten als „Augen auf bei der Vertragsgestaltung“ angeboten werden, wie z.B. in einem Artikel der Computerwoche zu diesem Thema.
Wo liegt das Problem?
In der Branche ist es üblich, größere IT Projekte mit externen Mitarbeitern zu besetzen, die oft über die großen Recruiting-Unternehmen bezogen werden. Oder sie kommen von kleineren IT-Partnern, die oft nicht selbst an Projektausschreibungen teilnehmen, sondern sich mit ihren Ressourcen an größere Partner „hängen“ und diese dann langfristig mit Ihren Mitarbeitern unterstützen.
Ich habe bei einigen großen Unternehmen externe Mitarbeiter gesehen, die über viele Jahre in Projekten und Abteilungen beschäftigt sind. Das Besetzen von größeren IT-Projekten – insbesondere wenn die Vorstände die Budgets sehr kurzfristig freigeben um eine Marktchance wahrzunehmen – mit bis zu 80% Externen und davon vielen key-Ressourcen ist bis heute keine Seltenheit. Woher sonst sollen auch große IT-Dienstleister Spezial-Knowhow beziehen, dass sich ja schon lange nicht mehr auf die Frage Java oder .Net beschränken lässt, sondern diverse Technologien, Frameworks, Tools und Systeme umfasst.
Schließlich ermöglicht eben diese Vielfalt erst schnelles Implementieren, sofern man die richtigen Leute zur richtigen Zeit hat.
All das ist nun plötzlich nicht mehr so ohne weiteres erlaubt. Und das ist zunächst ein generelles Problem, SCRUM betrifft es allerdings wegen der schwierigen Planbarkeit in besonderem Maße. Und es kommt noch schlimmer:
Wie verlässlich ist Ihr Projektplan in Bezug auf Zeit und Budget?
Nach einer Studie von McKinsey und die Saïd Business School der University of Oxford laufen IT- Projekte ca. 30-mal mehr aus dem Ruder, als in anderen Branchen die üblichen 0,7 Prozent.
Und darin sind nur die „schwarzen Schwäne“ enthalten, also Projekte, die ihr Budget um mehr als 200 Prozent- und die Zeit um mehr als 70 Prozent übersteigen.
Letzteres interessiert uns hier in Bezug auf die AÜG Problematik. Denn selbst Projekte, die „nur“ eine Laufzeit von 12 Monaten haben sollen, laufen bereits Gefahr, ihre externen Mitarbeiter zu verlieren, wenn sie in diese Rubrik fallen und das Projekt plötzlich und unerwartet doch „etwas“ länger braucht.
Dazu kommt, dass die Statistik sich auf IT-Projekte im Allgemeinen bezieht. SCRUM Projekte, deren Ziele in Bezug auf Zeit ohnehin eher vage sind, haben hier noch einmal etwas größere Risiken.
Ist SCRUM jetzt das Problem oder schon die Lösung?
Das sind zunächst keine gute Aussichten für sehr viele IT-Projekte. Eine Menge Unternehmen haben gerade den (richtigen) Schritt in Richtung SCRUM vollzogen und nun dies. All das, was wir gerade lieb gewonnen haben wird zum Risiko, quasi vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan und zurück.
Ich bin nicht der Meinung der Kollegen von der Computerwoche oder diversen Anwaltsratgebern zu diesem Thema, dass dieses Problem ein Vertragliches ist und durch die geschickte Gestaltung von Werkverträgen gelöst werden kann.
Denn erstens sind die Möglichkeiten hier faktisch begrenzt und zweitens zielt das Gesetz mit dem Verbot von Scheinwerkverträgen ja gerade darauf, solche listigen Tricks zu unterbinden.
Hier noch listigere Tricks in die Verträge einzubauen, minimiert nicht das Risiko, sondern es vergrößert es.
An der Methodik lässt sich auch nicht viel ändern. Denn Herr Scrum hatte sicher nicht die Novelle des deutschen AÜG im Kopf, als er uns eine neue Entwicklungsmethodik entwarf, die uns fit für das 21. Jahrhundert machte.
Eine kleine Modifizierung von SCRUM habe ich hier vorgeschlagen, die SCRUM zumindest besser festpreisfähig macht.
Aber die Maus beißt hier nun mal kein Kabel ab, SCRUM Projekte sind schwerer planbar und der Einsatz von externen Ressourcen bleibt für viele Unternehmen nach wie vor unabdingbar.
Ohne es sich künstlich Schönreden zu wollen, es wäre besser, SCRUM als die Lösung des Problems zu sehen und dabei auf andere Aspekte dieser Methodik zu referieren. Also nicht weniger SCRUM sondern viel mehr davon, viel intensiver und ernsthafter.
SCRUM ist durch die extrem betonte Agilität (hmmm… was ist das überhaupt), die sich aus kurzen, präzisen und äußerst transparenten Entwicklungszyklen zusammensetzt, viel besser in der Lage ein großes Projekt in mehrere Kleine aufzuteilen und diese überschaubaren Projekte von separaten Teams implementieren zu lassen.
Und diese Teams müssen dann nicht notwendiger Weise in das Unternehmen eingegliedert sein. Seien wir ehrlich. In vielen IT-Projekten geht es um Kontrolle. Projekt-Teams in das Unternehmen einzugliedern, sie vor Ort sitzen zu haben, macht es uns leicht, die Arbeit zu kontrollieren, frühzeitig einzugreifen und direkt zu steuern.
So lieben die Projektleiter es. Ich meine, dies ist ein Relikt aus der alten Welt, welches den Wasserfall hinuntergespült gehört.
Viele Unternehmen, die jetzt erst die ersten Gehversuche mit SCRUM machen, haben die Vorteile gerade in Bezug auf Transparenz, Kontrolle und extrem flexibler Steuerung noch gar nicht richtig in Betracht gezogen.
Bei richtiger Anwendung ermöglicht SCRUM die Steuerung großer Projekte mit dezentral arbeitenden Teams.
Nicht die Entwickler werden in den Unternehmensablauf integriert, sondern die Arbeit wird es.
Was bedeutet das?
Das Unternehmen muss für sich die Methodik entwickeln und nutzbar machen indem es sie in die Teams trägt. Und nicht nur in die ausführenden Teams, sondern in die ganze Unternehmenskultur. Wie so etwas gut gelingt, habe ich unter anderem hier beschrieben.
Wenn das gelingt, behält das Unternehmen die Hoheit über die Projekte und allen darin enthaltenen Aufgaben, kann fein steuern und erhält volle Transparenz.
Die SCRUM Teams können dann weit außerhalb des Einflussbereiches des AÜG agieren. Und zusätzlich kann das Unternehmen noch diverse Potentiale durch gezieltes Outsourcing heben, wie zum Beispiel Nearshore-Outsourcing.
Nutzen Sie die Herausforderungen des neuen AÜG für ein intensiveres und besseres SCRUM!